Interview mit Dr. Steffen Wagner
Bei vielen Patientinnen können spezifische Beschwerden im Zusammenhang mit dem mukosalen System gesehen werden, weshalb der Gynäko-Onkologe Dr. med. Steffen Wagner das Bewusstsein für den Erhalt einer normalen Schleimhautfunktion als wichtig erachtet.
Herr Dr. Wagner, die Allgemeinheit weiß wenig über das mukosale Immunsystem, aber warum ist es so wichtig für unsere Gesundheit?
Die Mukosa hat wichtige Aufgaben: Erstens bildet sie eine physikalische Barriere, die verhindert, dass Krankheitserreger in den Körper eindringen. Durch die Schleimproduktion gelingt es ihr, Erreger zu binden und zu neutralisieren. Dabei macht die Schleimhaut feine Unterschiede, denn körpereigene Substanzen und Nahrungsmittel müssen als „gut“ erkannt und toleriert werden, um unnötige Immunreaktionen zu verhindern.
Außerdem befindet sich in den Schleimhäuten das MALT-System (“Mucosa-Associated Lymphoid Tissue” oder „Schleimhaut-assoziiertes lymphatisches Gewebe“). Das MALT-System umfasst eine Vielzahl von Immunzellen wie Makrophagen, Lymphozyten und dendritische Zellen, die alle darauf spezialisiert sind, Krankheitserreger zu erkennen und zu bekämpfen. Sitz dieser Zellen sind beispielsweise die Peyer-Plaques im Darm, die Gaumenmandeln im Rachen und die Bronchien als Teil der Atemwege.
Nicht zuletzt werden in der Schleimhaut spezifische Immunoglobuline produziert und ausgeschieden, die eine Schlüsselrolle bei der Abwehr von Krankheitserregern spielen, z. B. IgA.
Bei Bedarf löst die Schleimhaut eine lokale Immunreaktion aus, um Krankheitserreger zu bekämpfen und die Reparatur von geschädigtem Gewebe zu fördern. Das kann sich dann in Form von Entzündungen bemerkbar machen.
Warum ist die Unterstützung der Mukosa so relevant?
Insgesamt sind die Wechselwirkungen zwischen der Schleimhaut und dem Immunsystem entscheidend für die Aufrechterhaltung einer guten Immunabwehr. Bekannt sind vor allem die direkten Interaktionen zwischen Immunzellen des Darmes mit dem restlichen Körper oder dass Erkrankungen der Schleimhaut Auswirkungen auf das Immunsystem haben. Der Zustand der Schleimhäute beeinflusst also das gesamte Immunsystem und umgekehrt.
“Das mukosale System kann Einfluss auf die Lebensqualität und damit die Compliance haben.”
Dr. Steffen Wagner, Facharzt für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und gynäkologische Onkologie in Saarbrücken
Für wen ist eine gesunde Schleimhaut besonders wichtig?
Personen mit einem geschwächten Immunsystem, sei es aufgrund von Krankheiten wie HIV/AIDS, bestimmten Medikamenten (z. B. Immunsuppressiva nach Organtransplantationen) oder anderen immunologischen Erkrankungen, sind besonders anfällig für Infektionen. Gesunde Schleimhäute können das Infektionsrisiko reduzieren.
Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa haben oft Entzündungen und Veränderungen der Schleimhaut im Magen-Darm-Trakt. Eine intakte Schleimhaut ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Verdauungsfunktion und kann helfen, das Risiko von Komplikationen zu verringern.
Auch bei Personen mit allergischen Erkrankungen, z. B. allergischer Rhinitis oder Nahrungsmittelallergien, kann eine intakte Schleimhaut dazu beitragen, Allergene abzufangen und eine übermäßige allergische Reaktion zu verhindern.
Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen wie Asthma oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) haben oft eine empfindliche Atemwegsschleimhaut. Eine gesunde Schleimhaut kann dazu beitragen, das Risiko von Atemwegsinfektionen zu verringern und die Atemwegsfunktion zu unterstützen. Einige Autoimmunerkrankungen können die Schleimhäute betreffen, z. B. das Sjögren-Syndrom, das vor allem die Schleimhäute der Augen und des Mundes beeinträchtigt. Eine intakte Schleimhaut ist wichtig, um Komplikationen in solchen Fällen zu minimieren.
Eine schmerzhafte Entzündung (Mukositis) der gastroenteralen Schleimhäute während einer Krebstherapie kann die Nahrungsaufnahme erschweren. Durchfälle sind die Folge einer gestörten Funktion der Darmschleimhaut.
Unter antihormoneller Krebstherapie entstehen oft Entzündungen in den Gelenkschleimhäuten (Synovia), die zu hartnäckigen Bewegungsschmerzen führen und die Gelenkbeweglichkeit einschränken können.
Vielen Dank, Herr Dr. Wagner, für diese neuen Einblicke.
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